Change Management | 15.07.2016

Von autoritär zu agil: Die Entwicklung des Personalwesens

Marcel Bruder
von Marcel Bruder

Der Trend „agiles Unternehmen“ gewinnt immer weiter an Bedeutung. Agile Unternehmen sind in der Lage, sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Ein wichtiges Kernelement ist hierbei der erweiterte Handlungsspielraum der Mitarbeiter*. Ziel ist es, dass die Belegschaft aktiv und schnell individuelle Lösungen entwickelt, anstatt auf zentrale Vorgaben zu warten oder durch starre, bürokratische Aktivitäten gelähmt zu werden.

Für die HR-Abteilung bedeutet das oftmals: sie verteilt immer mehr Kompetenzen an die Mitarbeiter des Unternehmens – eine spannende  Entwicklung, wirft man einen Blick auf die Anfänge der Personalarbeit.

Die Anfänge der Personalabteilung

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildeten die ersten Unternehmen selbstständige Personalabteilungen. Zunächst beschränkten sich deren Aufgaben auf Verwaltungsarbeiten, also Gehaltsabrechnungen und die Personaleinsatzplanung. Eine inhaltliche Mitarbeit durch den Personalbereich fand nicht statt. Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit waren noch lange nicht im Fokus. Vielmehr herrschten in der Hochphase der Industrialisierung autoritäre Führungsstile und Polizeigewalt gegen Angestellte, die wegen schlechter Arbeitsbedingungen streikten.

In den Zwanzigerjahren kam es zu Impulsen zur Ausgestaltung des betrieblichen Personalwesens. Arbeitswissenschaftler bestätigten, dass eine mitarbeiterfreundliche Strategie sogar kostengünstiger für die Unternehmen wäre. Der Industriellenverband DINTA konzipierte in der Weimarer Republik schließlich eine systematische Personalarbeit. Ihr Grundsatz: Wohlbefinden erzeugen, die Mitarbeiter motivieren und binden. Dieser Trend hielt nicht lange an. Mit der Weltwirtschaftskrise in den Dreißigerjahren waren die Unternehmen damit beschäftigt, sich über  Wasser zu halten. Das Personal wurde deshalb zwar gefordert, aber nicht gefördert.

Veränderungsmanagement und ein verändertes Bewusstsein

Die Wissenschaftler Roethlisberger und Mayo beschäftigten sich in den Dreißigerjahren im Rahmen von Forschungen zur Leistungssteigerung damit, welche Rolle eine Veränderung der Arbeitsbedingungen spielt. Der Grundstein des Veränderungsmanagements war gelegt. In den Vierzigerjahren erarbeitete Kurt Lewin Theorien, um die Phasen von Veränderungen zu beschreiben. Bis sich das,  heute Change Management genannte,  Personalinstrument durchsetzte, dauerte es jedoch noch bis in die Neunzigerjahre. 1996 veröffentlichte J. P. Kotter eine Weiterentwicklung von Lewins Theorie: das 8-Phasen-Modell, das für das Change Management noch heute von großer Bedeutung ist.

Außerdem entstand in den Unternehmen in den  Vierzigerjahren allmählich ein Bewusstsein dafür, dass  die ursprüngliche HR-Strategie längerfristig nicht zum Erfolg führt. Aufgrund des Zweiten Weltkriegs waren qualifizierte Arbeitskräfte Mangelware. Und da während der Weltwirtschaftskrise keine Personalentwicklung stattgefunden hatte, gab es keine Nachfolger für verstorbene Topmanager. Das Vakuum an qualifizierten Führungskräften führte zur Entwicklung einer Reihe von Personalinstrumenten. So begannen in den Vierzigerjahren beispielsweise  die ersten Unternehmen, jährliche Mitarbeitergespräche durchzuführen – mit den Beurteilungsgesprächen der US Army als Vorbild.

Jobenlargement, Jobenrichment und Jobrotation entstanden ungefähr zehn Jahre später. Eine Studie der Zwanzigerjahre hatte ergeben, dass nicht-finanzielle Anreize, die Gruppenzugehörigkeit, Aufmerksamkeit und Anerkennung  für  den Mitarbeiter eine viel größere Rolle spielten als zuvor bekannt war. Als Reaktion auf diese Erkenntnisse entwickelte eine Gruppe von Wissenschaftlern – die spätere Human Relations School –  in den Fünfzigerjahren unter dem Begriff „Humanisierung der Arbeit“ neue Arbeitskonzepte: Job Enlargement, Job Enrichment, Job Rotation und teilautonome Arbeitsgruppen.

Ungefähr zur gleichen Zeit wurden die Mitarbeiterbefragung und das Führungskräfte-Feedback geboren. Verschiedene Forscher um Kurt Lewin hatten untersucht,  inwieweit sich  Einstellungen und  Verhalten der Menschen verändern können. Aus den Ergebnissen schlussfolgerten die Forscher, dass sich Unternehmen stärker mit den Einstellungen ihrer Mitarbeiter bezüglich Arbeitgeber und Arbeitssituation  befassen sollten. In diesem Kontext entstand die Survey-Feedback-Methode, eine Zusammensetzung aus Mitarbeiterbefragung und Vorgesetztenbeurteilung.

Das neuartige Personalwesen wird ausgebaut

In der Humanisierungs- oder auch  Personalentwicklungsphase der Siebzigerjahre zeigte sich, dass die Manager aus der schwierigen Zeit nach dem ersten Weltkrieg gelernt hatten: Die verbesserte Personalbetreuung wurde trotz sinkendem Wirtschaftswachstum und Arbeitskräfteüberschuss fortgeführt.

Während dieser Phase tauchten Mentoring und Coaching in den USA erstmals als Personalinstrumente auf. Beim Mentoring gibt ein Mitarbeiter sein fachliches Wissen oder sein Erfahrungswissen an einen neuen Kollegen weiter. Im Jahr 1885 erschien der Begriff „Coach“ – zu Deutsch „Kutsche“ – erstmals im Zusammenhang mit privaten Tutoren von Universitätsstudenten in England und den USA. Die Tutoren „coachen“ einen Studenten, also „lenken“ ihn, eben wie ein Kutscher eine Kutsche lenkt. In Deutschland etablierte sich die Bezeichnung Coach für eine Führungskraft erst in den Achtzigerjahren.

In den Neunzigerjahren startete die sogenannte interfunktionale Personalarbeit. Hierbei wurden Führungskräften bis zu einem gewissen Grad die Aufgaben eines Personalmanagers übertragen. Ein erster Vorläufer dessen, was heute zum agilen Instrumentarium eines Unternehmens gehören kann.

Vor dem Platzen der Dotcom-Blase am Ende des Jahrzehnts mangelte es wieder an Arbeitskräften. Die Mitarbeiter wurden als die wertvollste und sensitivste Ressource angesehen. Im Fokus stand daher: Gute  Mitarbeiter/Talente zu gewinnen und zu  halten.

In diesem Jahrzehnt gelangten dann auch HR-Kennzahlen in den Fokus. Zusätzlich zu den weit verbreiteten Kennzahlen ROSE und ROI sollten neue, nicht-monetäre Kennzahlen entwickelt werden. Ergebnis dieser Überlegungen war die Balanced-Scorecard. Diese umfasst neben monetären Kennzahlen, auch  nicht-monetäre. So können beispielsweise  Faktoren wie Krankenstände, Fluktuationsrate, Zufriedenheit oder Engagement der Mitarbeiter in diesem  Management-Instrument abgebildet werden.

Volkswagen entwickelte in den Neunzigerjahren das Konzept „atmendes Unternehmen“: Ein atmendes Unternehmen passt sich flexibel an Marktanforderungen und Kundenwünsche an. Daraufhin setzten immer mehr deutsche Unternehmen Arbeitszeitkonten und andere flexible Arbeitszeitmodelle ein. Die Arbeitszeit war nicht länger für einen Tag festgelegt, sondern für eine Woche oder einen Monat. Diese neuen Modelle entlasteten die Mitarbeiter ungemein.

Für das Wohlergehen der Mitarbeiter sorgte auch eine politische Entscheidung des Jahres 1996. Mit Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes wird die Gefährdungsbeurteilung gesetzlich vorgeschrieben. Der Zweck des Gesetzes ist, die Gesundheit aller Beschäftigten durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu gewährleisten beziehungsweise zu verbessern. Im Oktober 2013 wurde das Arbeitsschutzgesetz erweitert: In der Gefährdungsbeurteilung sind seitdem auch psychische Belastungen zu berücksichtigen.

Auch der Begriff „Employer Branding“ taucht erstmals in den Neunzigerjahren auf. Das Ziel oder der Zweck von Employer Branding ist, eine Arbeitgebermarke zu entwickeln (Employer Brand).  Diese sollte die Vorzüge des Unternehmens als Arbeitgeber hervorheben und so Bewerber anlocken.

Die klassische Personalabteilung definiert sich neu

Um die Jahrtausendwende herum wurden die Kompetenzen der Personalabteilung weiter auf die Führungskräfte umverteilt. Bewerbungsgespräche werden häufig  von den Führungskräften selbst, zuweilen auch gemeinsam mit   Mitarbeitern der HR-Abteilung geführt.

Agile Unternehmen treiben die Entwicklung oftmals noch voran. Beispielsweise übernehmen Teams selbständig die Rekrutierung  neuer  Kollegen, die Verwaltung von Einsatzplänen und die Entscheidung über die nächste Weiterbildung. Zielsetzung  ist dabei die Beschleunigung von Entscheidungen und die Verbesserung der Entscheidungsqualität. Voraussetzung hierfür ist die entsprechende Erweiterung des Handlungsspielraums und der Aufbau der benötigten Kompetenzen in der Abteilung durch HR. Die Personalabteilung wird damit zum Enabler, der hilft, die notwendigen Rahmenbedingungen aktiv mitzugestalten. Hierbei kommen Erkenntnisse zum Tragen, die zum Teil schon vor knapp 100 Jahren gewonnen wurden. Für eine konsequente Umsetzung muss dabei, wie  bei jedem Veränderungswunsch,  die notwendige Dringlichkeit vorhanden sein. Diese scheint nun deutlich vorhanden.

* Aus Gründen der Leserlichkeit und Übersichtlichkeit werden im vorliegenden Artikel stets die männlichen Personenbezeichnungen verwendet. Dabei sind natürlich stets beide Geschlechter gemeint.

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